Die Hochwilde in der Morgendämmerung

Skitour auf den Annakogel – der aufgehenden Sonne entgegen

Es ist der „Corona-Winter“ 2020/2021 und in Gurgl für diese Jahreszeit erstaunlich ruhig. Aufgrund der Reisebeschränkungen kommen keine Gäste und das Skigebiet bleibt die komplette Saison geschlossen. Die Natur strahlt dennoch für uns Einheimische und schenkt uns viel Schnee, angenehme Sonnentage und damit einen Skitourenwinter, den wir vermutlich nie vergessen werden. Eine dieser unvergesslichen Touren führt uns auf den Annakogel in luftige 3.333m Höhe.

Es ist traurig, dass es dieses Jahr keine Wintersaison gibt. Doch wir denken uns: Es ist, was du daraus machst. Und somit packen wir unsere Rücksäcke, fellen die Ski auf und begeben uns auf eine spannende Zweitages-Skitour. In einem „normalen“ Winter fehlt oft die Zeit für solche Erlebnisse. Also machen wir das Beste aus der Situation und ziehen los.

 

Das Ziel fest im Blick, Hochwilde (links) und Annakogel (rechts)

Die Berge ganz für uns allein

Es ist ein sonniger Tag Anfang April. Wir starten bei der Zirbenalm. In einem Winter ohne Pandemie überzeugt sie mit urigem Hüttenflair am Rande des wild-romantischen Zirbenwaldes. Doch heute ist alles ruhig. Unser Weg führt uns in hochalpines Gelände und vorbei an zwei weiteren leider geschlossenen Hütten. Als erstes erreichen wir dieSchönwieshütte. Sie liegt am Eingang des Rotmoostals unterhalb vom Schönwieskopf. Die moderne alpine Architektur passt perfekt in die Umgebung und die große Sonnenterrasse lädt zum Verweilen ein. Nach einer weiteren Stunde erreichen wir die Langtalereckhütte. Normalerweise wimmelt es hier an einem schönen Spätwintertag nur so von Skitourengehern. Doch auch diese Sonnenterrasse haben wir heute ganz für uns alleine.

 

Nach einer kleinen Stärkung geht es zunächst abwärts, bevor ein größerer Anstieg auf uns wartet. Wir fellen ab und freuen uns auf ein paar lässige Schwünge auf dem kurzen Hang. Es ist ungefähr der vorletzte Schwung als es passiert. Das Skifahren fühlt sich gerade so richtig gut an als plötzlich die Schneedecke bricht und mein Ski sich verhakt. Kopfüber setze ich zu meinem unfreiwilligen Purzelbaum an und bleibe nach einer Umdrehung stecken. „Alles okay“, rufe ich fast noch während meiner zirkusreifen Leistung. Zum Glück bewahrheitet es sich auch und ich komme mit einem Schrecken davon. Merke: Auch bei kurzen Abfahrten ist Vorsicht besser als Nachsicht.

Dieser Blick entschädigt für einiges – die Hochwilde im Morgenlicht

Durch tiefe Schluchten und auf hohe Berge

Nach der Abfahrt ist vor dem Anstieg. Wir befinden uns am Eingang einer engen Schlucht. Im Sommer rauschen hier Wassermassen durch, die über die Jahrtausende die Felsen immer weiter ausgehöhlt haben. Diese unendliche Kraft der Natur ist spürbar, wenn man auf dem schneebedeckten Flussbett zwischen meterhohen Gesteinswänden entlang geht. Wir beeilen uns, da im Tagesverlauf die Gefahr für Steinschlag erheblich ansteigt. Schließlich erblicken wir über uns die Piccardbrücke, die seit 2017 beide Talseiten miteinander verbindet. Mit einer Länge von 142m ist sie 100m über dem Grund gespannt. Das ist nur etwas für Schwindelfreie, das sieht man auch vom Talboden.

Die hohen Felswände, die uns die letzten Meter begleitet haben, werden immer niedriger. Das Tal wird breiter und vor uns öffnet sich ein weitläufiger Talkessel. Wir überqueren mehrere Böden auf verschiedenen Ebenen und steigen Höhenmeter um Höhenmeter nach oben. Schließlich haben wir unser Tagesziel erreicht – die Fidelitashütte. Sie liegt gemeinsam mit dem nicht mehr bewirtschafteten Hochwildehaus auf einem Hochplateau unweit des Schwärzenkamms.

Die Piccardbrücke ist auch von unten nur etwas für Schwindelfreie

Allein unter 3.000ern

Auf über 2.800m genießen wir die letzten Sonnenstrahlen des Tages und bewundern diese gigantische Natur. Zahlreiche 3.000er können wir von hier aus der Nähe betrachten, unter anderem den Schalfkogel (3.537m) oder den Hinteren Spiegelkogel (3.426m). Auch das Ramolhaus (3.006m) entdecken wir auf einem kleinen Vorsprung auf der anderen Talseite. Es ist ein unwirklicher Ort hier oben. Es herrscht eine Ruhe, wie es sie nur am hintersten Talschluss geben kann. Der Ausblick ist einmalig und kaum in Worte zu fassen.

Nach Sonnenuntergang wird es schnell kühler. Die Höhe macht sich bemerkbar und auch unser gut 5-stündiger Marsch hat vermutlich seinen Beitrag dazu geleistet. Müde fallen wir in unser Lager für diese Nacht. Es ist kalt und der Wind pfeift. Mehr als ein kurzes Nickerchen ist uns ohnehin nicht vergönnt – schließlich wollen wir zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel sein. So beginnt Teil zwei unseres Abenteuers.

Die letzten Meter bis zum Gipfel

Immer der Sonne entgegen

Es ist Punkt 5 Uhr und stockdunkel als wir die ersten Schritte mit unseren Tourenski gehen. Zunächst geht es gemütlich geradeaus und sogar etwas abwärts. Perfekt für müde Beine und verschlafene Tourengeher. Danach folgt der sanfte Anstieg zum Annakogel. Es ist windig an diesem Morgen und dadurch kalt. Natürlich ist es kalt auf über 3.000m bevor die Sonne ihre wärmenden Strahlen auf die Erde schickt – aber diese Kälte hat es wirklich in sich. Wie wir später herausgefunden haben, hatte es an diesem Morgen jenseits der 3.000m circa -15 Grad Celsius. Wir wollten ein echtes Abenteuer, also bekommen wir es auch.

Gipfelfoto Annakogel 3.333m

Wir schaffen es gerade so bei Tagesanbruch auf die 3.333m des Gipfels. Der Sonnenaufgang ist atemberaubend schön. Wenn der Tag erwacht und du darfst oben auf einem Gipfel stehen – das ist wahres Glück. Doch die Kälte steckt uns in den Knochen und somit statten wir dem Gipfel nur einen kurzen Besuch ab, bevor es wieder hinunter geht. Wir fellen ab und wärmen uns mit ein paar schönen Schwüngen wieder auf. Über den Gletscher geht es so wieder ins Tal.

In der Schlucht haben wir so früh am Morgen bereits Gegenverkehr. „Wo geht’s hin?“, fragen wir. „Auf den Schalf, perfektes Bergwetter“, kommt’s von unserem Gegenüber zurück. Da habt ihr noch ein paar Höhenmeter vor euch, denke ich, und bin sehr zufrieden, dass wir uns bereits auf dem Rückweg unserer Tour befinden. Der Weg nach Obergurgl führt uns auf- und abwärts bis wir ein letztes Mal abfellen und die Fahrt ins Dorf genießen. Hier unten ist nichts mehr vom eisigen Wind heute Morgen zu spüren. Der Frühling zeigt sich langsam auf über 1.900m in Gurgl. Es ist 11:00 Uhr und nach 6 Stunden Tour und vielen Höhenmetern haben wir bereits unser Tagessoll erreicht. Rucksack auspacken, duschen und ausruhen lautet unser Motto für den restlichen Tag.

Unsere zweitägige Tour hatte viele Höhen und Tiefen – nicht nur aus geografischer Sicht. Es war anstrengend und die Kälte hat uns einiges abverlangt. Doch es bleiben die wunderschönen Erinnerungen, die malerischen Fotos und wieder ein Abenteuer mehr in unseren Herzen. Lieber Annakogel, wir kommen wieder – das nächste Mal darf’s dann ruhig auch etwas wärmer sein.

Sonnenaufgang auf 3.333m, Blick vom Annakogel Richtung Süd-Osten

Fotocredits: Johannes Brunner, www.johannesbrunner.at